Pierre Desproges - Erniedrigt

Kennen Sie etwas Erniedrigenderes für einen erwachsenen Menschen, als daß ein Kind ihn dazu veranlaßt, vor aller Augen die Hosen runterzulassen? Ich meine «die Hosen runterlassen» im übertragenen Sinne, das versteht sich wohl von selbst; Was die Versuche bezüglich der Verführung Volljähriger angeht, glauben Sie mir, da weiß ich mich zu wehren. Dagegen begreife ich «die großen Leute» im eigentlichen Wortsinne, denn - dreimal sei's gepfiffen, oder vielleicht sollte ich besser sagen sechsundvierzig Mal sei's gepfiffen, immerhin fand die Ausstoßung meines Mutterkuchens zeitgleich mit dem Beginn eines noch umfassenderen Exodus statt... Genaugenommen muß ich mich als einen großen Leut auf dem Wege zum gebeugten Leut begreifen.
Ich kann ja langsam schon auf meinen Sekretärinnen nicht mehr mithalten, selbst auf jenen, die mehrerer Zungen mächtig sind. Bald werde ich an den todbringenden Gestaden des dritten Lebensalters stranden, da man in sich zusammenfällt - da, wo man eines freudlosen Morgens mit kalten Händen und grauen Schläfen erwacht. Am Morgen, mein Freund, sieht alles noch gut aus für Dich; Solange nur Deine Arterien noch weicher sind als Dein Geschlechtsorgan, solange scharrt der Hengst in dir noch mit den Hufen. Und dann, paff, Du weißt ja, wie das ist: wenn nur eines seiner Glieder ihn am Hengstsein hindert, dann wird ein alter Gaul erschossen... Piff, paff.

Vor diesem friedhöflichen Exkurs, zu dem mich das eisige grau-in-grau dieses Dreckswinters gegen meinen Willen verleitete, wollte ich Ihnen Kunde tun, wie ich jüngst erniedrigt, was sage ich, bis auf die Knochen blamiert wurde - bis in den Kern jener Eitelkeit, die mir als dickfelligem Männchen zu eigen ist, und Schuld war ein kleiner Junge. Ein kleiner Fruchtzwerg aus der Schweiz, ein süßer Milchbubi, Hans genannt, der zum Tatzeitpunkt, das heißt vorgestern, achteinhalb Jahre alt war. Er war ein ganz normaler kleiner Junge, mit samtweichem Haar und geraden, blauen Augen.
ch hatte gerade mit ein paar Freunden zu Abend gegessen, und das war im Hause seines Vaters, eines reichen Schweizers (entschuldigen Sie, ich rede wirr...), der abgepackte Essensrationen für Fluggesellschaften in der ganzen Welt herstellt. Ein guter Kerl: Fragen Sie mich jetzt aber nicht, was zum Geier man mit einer Schweizer Ration anfangen soll, auf der Alm, da lieg' ich nicht auf der Kalauer... Beim Verdauungsschnaps wollte mir Hans - der mich für eine außergewöhnliche Persönlichkeit hält, weil ich im Radio schmutzige Worte gebrauche - unbedingt sein Zimmer zeigen.
Dabei handelte es sich auf zwölf Quadratmetern vom Fußboden bis zur Decke und bis unter das Bett um ein Flugzeugmuseum, in dem sich alles fand, was gemeinhin fliegt, segelt oder abstürzt, von unsicheren Doppeldeckern, Typ Blériot, bis zu dem allseits bekannten unbesiegbaren Feuerwerkskörper namens Zeppelin über den Bréguet-Doppeldecker und den Spirit of Saint Louis. Hans erklärte mir, daß sein Vater ihm natürlich beim Sammeln dieser Flugzeuge unterstützt habe, und daß er sich jetzt allerdings vor allem für Jäger und Jagdbomber interessieren würde.

Als wir in den Salon zurückgekehrt waren, gratulierte ich dem Jungen zu dem verblüffend frühen Beginn seiner lauschigen Aerophilie, wobei ich gleichwohl mein Sorge über seine aktuelle Vorliebe für Kriegsmaschinen zum Ausdruck brachte. «Ist mir schnuppe. Wenn ich groß bin, werde ich Jagdpilot», verkündete er bestimmt und mit einem aggressiven Unterton in der Stimme.

Tja, und da passiert es doch tatsächlich, daß ich, ich armseliger Kaffeehaus-Moralist, mich - hinwegtragen durch eine Anwandlung von miefigem Pazifismus, welcher selbst des Leiters des Raffia-Intensiv-Workshops im Jugendzentrum von Saint-Jérome-Deschamps unwürdig gewesen wäre - ich höre mich also tatsächlich, anstatt Ruhe zu geben voller inbrünstiger Überschwenglichkeit, hervorgerufen durch die Rauchschwaden meiner Davidoff vermischt mit dem Aroma der Williamsbirne, höre ich mich wirklich und tatsächlich sagen, Krieg sei irgendwie total ungeil, Maschinengewehre wären totale Kaka und tackatackabumm echt böse.

«Schau mal Hans, mein kleiner Freund. Was Dir an Flugzeugen gefällt, das ist doch das Fliegen. Warum willst Du dann unbedingt in der Armee fliegen? Weißt Du denn nicht, wofür ein Jagdpilot steht, so sicher wie der Tod? Weißt Du, daß ein Jagdpilot jemanden töten kann?» Darauf der Kleine, voll höflichen Erstaunens:
«In der Schweiz?» Er-nied-rigt.

Rechte bei: Lappan Verlag
Übersetzung: Sven Knoch